Rockpalast Archiv

Sounds

Einschaltquoten, Phonzahlen und außerordentliche Sinnlichkeit

Von Brigitte und Manfred Becker

Das eigentliche Studio

Los Albertos im Palazzo di Rocko

Das eigentliche Studio Los Albertos im Palazzo di Rocko

31. Oktober 1977 im Ramada Hotel, Düsseldorf. Christian Wagner und Peter Rüchel vom Rockpalast-Team, haben sich und eine Video-Maschine neben die Zimmer der Bob Seger-Crew eingemietet. Vier Stunden vor dem Konzert in der Philipshalle wollen sie ihren Wunsch-Headliner für die nächste Rocknacht mittels überrumpelungstaktik einkaufen.

Man hat Segers langjährigen Manager "Punch" Andrews hereingelotst und führt ihm ein paar "Rockpaläste" vor. Doch alle überzeugungsversuche der beiden Hauptredner fruchten nicht.

"No, 1 doubt very much he will ever do TV", quetscht der Bilderbuch-Texaner an seiner 50cm-Havana vorbei und fletzt genüßlich seine abgewetzten Wild-West-Stiefel auf dem Nierentisch der Hotelsuite. "Wir haben in den Staaten TV-Shows gemacht, forget it. In Detroit haben wir eine Woche lang täglich vor 15000 bis 20000 Leuten gespielt, jeden Abend: sold out. Die Fans wollen Bob unmittelbar erleben, die Distanz beim TV ist zu groß." Immer mit einem Auge auf der Videokiste, gerade quält sich Rory Gallagher, gestikuliert er weiter: "Ok, ok, so wie ihr's macht, da kommt einiges rüber, was den Rock 'n' Roll ausmacht, doch schaut euch diese winzigen Figuren an", - er latscht zum Gerät und hält Daumen und Zeigefinger gegen die Bildröhre "und dieser eindimensionale Sound." In der Flimmerkiste erscheint plötzlich Frankie Millers Fullhouse. "Das solltet ihr Bob zeigen, er mag Frankie." Doch dazu kam es nicht, der Detroit-Detonator war nach dem Konzert wie vom Erdboden verschluckt.

 Randys und Dickeys Superjam

Randys und Dickeys Superjam

Es fing alles im Frühjahr 1974 an. Peter Rüchel und Christan Wagner begegneten sich zum ersten Mal in München. Rüchel war zu der Zeit noch Redakteur des Jugendmagazins "Direkt" beim ZDF, Wagner Student der Filmhochschule. Nachdem Rüchel zum Westdeutschen Rundfunk gewechselt und Leiter der Jugendredaktion geworden war, schlug ihm Wagner sein Konzept "Rockmusik live im Fernsehen" vor.

Wagner: In meinem ersten Konzept habe ich noch mehr filmisch gedacht und nicht so sehr an die Glotze. Die Totale spielte eine zu große Rolle, die Einstellungen waren fast statisch. Ich wollte die Gruppen als solche ständig präsent haben, was man aber bei der immensen Verkleinerung durch den Bildschirm nicht transportieren kann.

Der erste Rockpalast mit Wagner als Regisseur wurde am 22.1.76 mit Procol Harum ausgestrahlt. In der Reihe "Elfeinhalb" hatte die Jugendredaktion jedoch schon vorher neben Wortbeiträgen auch Musik produziert.

Eine positive Erfahrung aus diesen Anfangstagen war das Konzert mit Alan Price in der Royal Albert Hall in London, bei dem der WDR zum ersten Mal als Veranstalter auftrat.

Becker: Wie entsteht der Kontakt zu den Gruppen?

Wagner: Es gibt in den internationalen Agenturen eine Menge Wichtigtuer, die in irgendwelchen Vorzimmern sitzen und denken, ohne sie würde sich die Welt nicht weiterdrehen. Wenn du beispielsweise in entscheidenden Verhandlungen stehst und rufst da zum sechsten Mal an, jeder weiß, was läuft, wer du bist und warum du anrufst, dann wirst du trotzdem noch beim siebten Mal gefragt, wer sind Sie, was wollen Sie, warum wollen Sie ihn sprechen? Das stinkt einem natürlich dann, aber da muß man halt durch. Andererseits haben sich hierdurch persönliche Kontakte gebildet" die heute meist schnell zu einein direkten Gespräch führen, wo sich dann schnell herausstellt, was geht und was nicht. Wir haben schon mit allen illustren Persönlichkeiten, die im Musik-Business unter vorgehaltener Hand genannt werden, geredet, auch mit den ganz wichtigen Musikern.

 Sie waren die ersten Palast Besucher: Procul Harum

Sie waren die ersten Palast Besucher: Procul Harum

Becker: Wie effektiv unterstützen euch hierbei die Plattenfirmen?

Wagner: Die Firmen wollen dir nur verkaufen, was ihnen gerade ins Konzept paßt. Zum Beispiel ruft uns vor der ersten Rocknacht die CBS an und meldet, daß am 22. Juli 77 Boz Scaggs in Frankfurt spielt. "Wär' das nichts für euch, wenn er danach mal gerade nach Essen kommt?" Wir sagen: "Nein, wir wollen nicht Boz Scaggs machen," Der gleiche Anruf kommt trotzdem danach jeden Tag dreimal, ob von der CBS, vom Verlag, vom Veranstalter oder sogar aus England. Und dann läuft's anders rum: "Wir haben gehört, Boz Scaggs spielt bei euch." Dann geht man hin, verpflichtet Roger McGuinn und stellt fest, daß die gleichen Leute unheimlich sauer sind, obgleich dieser zum selben Verein gehört. Die rufen uns an und sagen, das wär'n Gerüchte daß McGuinn bei uns auftreten würde, und beziehen es auf die abgesagte Byrds-Tournee. Du konntest es ihnen nicht klar machen, daß der tatsächlich kam, bis sie ihn mit eigenen Augen sahen.

 Die Grugahalle als Palast verkleidet

Die Grugahalle als Palast verkleidet

Service­-Programm

Becker: Habt ihr nie daran gedacht, die Sendeform zu erweitern? Sollte man nicht die Möglichkeiten des Fernsehens mediengerechter nutzen, sowohl technisch als auch dramaturgisch? Ich denke nicht an Flackershows aus alten "Leckebusch"-Zeiten, sondern eher an eine elektronische Umsetzung wie sie Peter Zadek in "Der Pott" praktiziert hat, oder an bildhafte übersetzungen durch Filme zum jeweiligen Song Thema.

Rüchel: Ich meine nein, das Rockpalast-Konzept ist die Darstellung von Rockmusik live im Konzert. Ob dieses Konzert nun im Studio stattfindet oder in einer Halle. Es verbietet sich, dem Publikum die subjektiven Impressionen des Regisseurs aufzunötigen. Man stellt sich diese Frage leichter, wenn man von Berufs wegen häufig in Konzerte geht und alle wichtigen Gruppen gesehen hat, als wenn man in einer mittleren Kleinstadt oder auf dem Lande wohnt, also nicht an der immer gleichen Route teilhat, auf der die großen Rockgruppen ihre Kreise ziehen.

Diese Sendereihe versteht sich zu einem erheblichen Teil als Service-Programm für die vielen Jugendlichen, die sich in der eben genannten Situation befinden. Worauf es allerdings ankommt, ist, bei dieser direkten Art der Darstellung eine Form zu finden, die der jeweils gespielten Musik adäquat ist. Das läßt sich bewerkstelligen durch die Wahl der Einstellungen und die Schnittfolge, beispielsweise, wie Solist und Gruppe einander zugeordnet werden.

Ich finde, daß für die Fernseh-Umsetzung der ersten Rocknacht in Essen ein Begriff anwendbar ist, der dem von Langeweile genau entgegengesetzt ist, nämlich eine außerordentliche Sinnlichkeit, eine starke Vermittlung von Präsenz, besonders gut gelungen bei Rory Gallagher und später bei McGuinn.

 Die Palast Herren: Christian Wagner (2.v.r.) unde Peter Rüchel (ganz r.)

Die Palast Herren: Christian Wagner (2.v.r.) unde Peter Rüchel (ganz r.)

Internationales Konzept

Becker: Habt ihr nicht mit der Aufzeichnung der Gruppe Albertos Y Lost Trios Paranoias doch schon ein wenig den von mir angesprochenen Weg beschritten?

Rüchel: Die Albertos Aufzeichnung ist ein Schritt, den wir sicher nicht mit irgendeiner anderen Gruppe gemacht hätten: die Umsetzung des Auftritts der Albertos ergibt sich aus der Präsentation dieser Gruppe selbst und dem Einfallsreichtum von Chris Lee, der das ganze als Parodie auf "Top Of The Pops" angelegt hat.

Eine übersetzung ins Bildhafte, wie du's vorgeschlagen hast, muß verbindlich sein, in dem Sinn, daß die eigene Subjektivität überschritten wird. Wir dürfen, glaube ich, nicht nur die höchst persönlichen Gefühle des Regisseurs wiedergeben. Der Zuschauer muß da eintreten können.

Becker: Ich weiß, daß ihr manchmal zwei oder drei Gruppen an aufeinander folgenden Abenden produziert, habt ihr da noch nie daran gedacht, eine Jam-Session aufzuzeichnen?

Rüchel: Dieser Gedanke ist schon mehrfach gedacht worden, was dagegen steht sind in der Tat die Produktionsbedingungen, die wir nicht zuletzt aus inhaltlichen Gründen gewählt haben, nämlich ein Tag pro Gruppe, was ja  auch der Produktionsweise der Gruppen auf Tournee entspricht. Konkret geplant haben wir ein Anniversary Konzert mit Alexis Korner, der ja in diesem Jahr 50 wird. Mit Alexis werden u.a. Dick Heckstall-Smith, Zoot Money, Alan Skidmore, Mel Collins, Colin Hodgkinson und Dick Morrisey in London im "Music-Machine" jammen. Dazu haben wir alles eingeladen, was Rang und Namen hat.

Becker: Wer entscheidet, wen ihr im Rockpalast bringt?

Rüchel: Diese Entscheidungen muß ich als Verantwortlicher treffen, sie sind jedoch Ergebnis langer Diskussionen mit Christian oder den Leuten aus der Produktion.

Wagner: Wir schenken uns gegenseitig immer 'n paar Gruppen

77er Backstage Impressionen mit den Füßchen

77er Backstage Impressionen mit den Füßchen

Becker: Wer hat wem Rainbow geschenkt?

Rüchel: Rainbow ist, glaube ich, nicht 100 prozentig unser beider Geschmack, da war schon was Spekulatives mit drin, das gebe ich zu.

Wagner: Die Rainbow-Geschichte wurde unter dem 1976er Aspekt verpflichtet. Die Band war viel glaubwürdiger als heute. Ich hab' nicht geglaubt, daß sie so früh erstarren würde. Richie Blackmore war für mich 1976 der Vertreter des Schwermetalls.

Rüchel: Bei unserer Auswahl sollen die Leute merken: Da stehen die voll dahinter. Das heißt: nicht Charts-orientiert. Wir entnehmen viele Anregungen aus der Rockpalast-Post, die sehr intensiv ist, sehr intelligent und ausführlich argumentierend. Die Wünsche der Stamm-Zuschauer stoßen oft an Grenzbereiche unseres eigenen Geschmacks, so daß wir unsere Auffassung zu einem bestimmten Act, wie im Fall Rainbows, überprüfen müssen. Andererseits haben wir auch Tom Waits gebracht, der in Deutschland vielleicht 200 Platten verkauft überhaupt spielen die Verkaufszahlen keine große Rolle für uns. Dies trifft zum Beispiel auf einige Gruppen der Deutsch-Rock-Szene zu. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß Gruppen wie Eloy oder Jane in Deutschland absolute Renner sind.

Wagner: Jane verkauft hier mehr als Van Morrison oder die Eagles, das ist aber trotzdem für uns kein Argument.

Becker: Euer Verhältnis zur deutschen Szene ist eher kühl als cool, oder?

Rüchel: Wir haben bis jetzt Guru Guru, Epitaph, Gate und Eberhard Weber gemacht. Ich kann es aber einfach nicht vertreten, Gruppen zu produzieren wie etwa Eloy, die ständig auf absolut idiotische Mythologien zurückgreifen, anstatt sich mit dem zu beschäftigen, was heute läuft.

Wagner: Hier rennen uns die Leute das Haus ein und sagen, "Ihr seid ja irgendwie meschugge", oder "Die Propheten gelten nichts im eigenen Land, und gerade ihr... etc." Da gibt's ein festgelegtes Kriterium, nämlich die Qualität der Musik. Danach richten wir uns bei der Auswahl für den Rockpalast. Wir haben kein nationales Konzept, sondern ein internationales, und da müssen sich Gruppen wie Jane eben an Ted Nugent oder Nils Lofgren messen lassen.

 Blick hinter die Studio Kulissen

Blick hinter die Studio Kulissen

Die Subjektivität unserer Entscheidungen läßt sich natürlich nicht ganz ausschalten, es gibt jedoch ein paar objektive Kriterien, z,B. technische Fähigkeit, Kreativität, Reichtum des Materials, bei englischen Texten richtige Aussprache und Live-Qualität, die Gruppen müssen in der Lage sein, ihre Plattenproduktionen oder etwas Adäquates live aufzuführen.

Becker: Sitzen euch nicht die Einschaltquoten wie Bleigewichte im Nacken?

Rüchel: Nein, der Rockpalast bringt alternative Musik, alternativ zum Musikprogramm, wie es sich sonst im Fernsehen präsentiert. Wir sitzen nicht an der Sonnenseite im Abendprogramm der ARD und müssen es daher nicht jedem recht machen. Trotzdem freuen wir uns natürlich über die 500000 eingeschalteten Geräte, allein in Nordrhein-Westfalen, die wir seit diesem Jahr regelmäßig sonntags haben.

Von 40 Sendungen im Jahr muß der WDR 21 selbst produzieren, der Rest sind Ankäufe, hauptsächlich internationale Musikfilme. Produktionsleiter Willi Lang hat sich schon manchen ärger mit den Kollegen eingehandelt, die ihm bei der Organisation mobiler TV-übertragungseinheiten, Studio-Terminen, Kamerateams etc. helfen. Denn als Veranstalter von Rockkonzerten geht es dem WDR nicht besser als allen anderen im Musik-Business. Die Gruppe X geht in Glasgow nach "musikalischen Differenzen" auseinander, Drummer Y bricht sich beim Blumenpflücken beide Beine, oder Richie Blackmore verbringt in Wien zwei Tage im Knast. Die Folge ist: Studios stehen leer, Kameraleute kriegen hitzefrei, und das ist so ziemlich das Schlimmste, was beim Fernsehen passieren kann.

Höchstmögfiche Effektivität

Becker: Wie sieht's mit den Finanzen aus? Kostet eine Sendung mit zum Teil bekannten Gruppen, die zudem oft mit Begleitung aus dem Ausland anreisen, nicht wahnsinnig viel Geld?

Lang: Im Vergleich zur Leistung, die die Gruppen bei uns, inklusive Anreise, erbringen, ist die Summe von 10 000 DM, die wir im Schnitt für alles zahlen, geradezu lächerlich.

Ausnahmen gibt's auch hier, der geplatzte Gig der Kinks bei der zweiten Rocknacht mit zwei bis drei Tagen Aufenthalt, hätte ca. 40000 DM gekostet. Dazu kommen oft enorme Strapazen für die Musiker, Nils Lofgren spielte am 16. Mai in Glasgow, am 17. in Lund/Schweden und am 18. im Kölner Rockpalast. Von dem Live Konzert werden im Normalfall pro Tag und Gruppe 60 bis 80 Sendeminuten produziert, dadurch erreichen wir eine höchst mögliche Effektivität.

Becker: Gibt es keine Probleme, wenn die WDR Techniker auf die englisch sprachigen Improvisations Weltmeister, die Roadies, Licht- und Tonmanager treffen?

Lang: Es gab sie, da die Gruppen oft mit Anlagen hier eintreffen, die nicht unseren Normen entsprechen. Wir mußten Steckerkupplungen, Trenntransformatoren etc. herstellen lassen, damit uns keiner der Gitarristen oder Sänger am Mikro kleben blieb.

Nach Ansicht des Produktionsleiters liegen die Phonzahlen fast aller Gruppen an der Schmerzgrenze. Einige der Techniker und Kameraleute verweigern daher ihre Mitarbeit. Wie alle Veranstalter bekommt auch der WDR von den Gruppen-Managements sogenannte rider, das sind detaillierte Anweisungen, die vom Bühnenaufbau bis zur Bewirtung alles enthalten. Die reichen von 36 Frotteehandtüchern für Chapman-Whitney über drei Milchflaschen für Ted Nugent bis zur Buchung eines ausdrücklich drittklassigem Hotels für Tom Waits, seinem Image entsprechend.

Nur einmal scheiterte eine Produktion an der Unerfüllbarkeit der Forderungen: Der Road-Manager von Robin Trower flog von London zu uns rüber, um sich vor Vertragsabschluß die technischen Voraussetzungen des Studios anzusehen. Dort angekommen schüttelte er sich erstmal vor Lachen und erklärte auf meine kleine Anfrage, daß die gesamte Studiofläche gerade für's Equipment der Robin Trower-Group ausreiche. Da wir jedoch nicht bereit sind, mit unseren E-Kameras von der Straße aus durchs Fenster aufzunehmen (die wir zudem noch rausbrechen müßten), starb das Projekt.

Von Brigitte und Manfred Becker

Fotos: Manfred Becker

Sounds April 1978

Ich habe erfolglos versucht Manfred Becker zu kontaktieren, ich hoffe es bestehen keine Einwände gegen die Veröffentlichung im Rockpalast Archiv!


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