Rockpalast Archiv

Hinter den Kulissen des Rockpalast

Von Andreas Hub

Aus der Zeitschrift "Musikexpress/Sounds" Juni 1983

Musikexpress/Sounds
 

 

Musik Express Page1 Zweimal im Jahr ist für Rockfans Nachtschicht angesagt. Auch wenn die WDR-Rocknacht in puncto Programm-Auswahl nicht unumstritten ist, bleibt das "TV-Woodstock" ein musikalisches Ereignis ersten Ranges. Als am 16.April 1983 die letzte lange Nacht über die Bühne ging, warf ME/Sounds einen Blick hinter die Kulissen.

Wir schreiben den 23. Juli 1977: die erste ARD-Rocknacht mit Roger Mc Guinn's Thunderbird, Little Feat und Rory Gallagher. Daß dieses an sich epochale Ereignis keine scharf konturierten Erinnerungen bei mir hervorruft, ist sicher verzeihlich - mein Blick war für ganz andere Konturen geschärft. Sie hieß Ulrike - und irgendwann verzogen wir uns aus dem lärmenden Feten-Trubel, um händchenhaltend durch die nächtlichen Straßen zu laufen.

Ein anderer hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge: Peter Rüchel, verantwortlicher Redakteur und Produzent des Rockpalasts: Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in der Morgendämmerung mit diesem euphorischen Gefühl aus dem U- Wagen gefallen sind: Wir haben's gebracht!
Das große Ereignis war zunächst nur ein Fantasieprodukt, als er mit Christian Wagner, dem Regisseur, eine Nacht im Büro hockte. Aber das "einfach nur mal so rumspinnen" hatte Folgen: "Die Idee ließ mich die ganze Nacht nicht mehr los, und als ich am nächsten Morgen zum WDR fuhr dachte ich mir.- Warum eigentlich nicht?"

Obwohl der Rockpalast in Form von einer 30-Minuten-Sendung pro Monat damals nur ein Schattendasein auf dem dritten Kanal führte, hielt man Rüchel keineswegs für größenwahnsinnig, als er höheren Ortes den Plan einer sechsstündigen Eurovisionssendung vortrug.

Wichtiger noch als die Eurovisions-Fanfare: Der Einleitungssatz "Dschörmen Telewischn prautli prisents" gehört einfach dazu.

Schnell einigt man sich darauf, die erste Rocknacht als Brücke zwischen regulärem Samstagabendprogramm und einem Muhammed-Ali-Boxkampf zu früher Morgenstunde ins Programm aufzunehmen.
Was sich allerdings ebenso schnell als Pferdefuß herausstellte. Peter Rüchel: "Ali boxte zwar, aber nur - wie die Kollegen von der Sportredaktion meinten - gegen Fallobst; es kam keine interessante Kampfkonstellation zusammen, so daß die Sache sich zusehends in die Länge zog, bis ich dachte: Jetzt muß etwas passieren, sonst wird die gute Idee sauer."

An dieser Stelle des Gesprächs kommt Rüchels Sekretärin rein: "Heißt das hier-oder?" Eins der größten Rockpalast Tabus scheint in Gefahr - nur keine Gruppen verraten, bevor nicht alles unter Dach und Fach ist, und Peter Rüchel unterbricht die verdatterte Sekretärin: jetzt nenn' mal bloß keine Namen hier! Was ist denn das!" Großes Ehrenwort darauf, daß ich schnellstens wieder vergesse, was meine unberufenen Ohren da aufgeschnappt haben, das wäre allerdings eine Gruppe. die manchen der Kritiker den Wind aus den Segel nähme, die sich auf das Rockpalast-Team als letzte Bastion des vermeintlichen Hippie-Unwesens eingeschossen haben.

Die meist gehaßte Musiksendung weit und breit zu machen, mag kein besonders schmeichelhaftes Prädikat sein, aber der Produzent gibt sich gelassen: "Wir wären nie mit der Rocknacht bis zur Nummer 12 gekommen, wenn die Reaktion des Publikums nicht positiv wäre. Richtig ist, daß wir nicht immer das Offensichtlichste gemacht haben, daß wir nicht das wiederholen, was überall schon läuft, daß wir uns auch nicht an den Charts orientieren. Aber man erreicht trotzdem sein Publikum (das im Durchschnitt immerhin aus gut 25 Millionen Zuschauern in ganz Europa besteht), wenn man sich eine Vertrauensbasis erarbeitet, dann sagen die Leute eben: "Ok, ich kenne King Sunny nicht, aber wenn die das machen, wird vielleicht was dran sein."

"Für uns hat nach wie vor Gültigkeit: Eine gute Live-Band ist eine gute Live-Band, egal welchem Stil sie zuzuordnen ist." - Peter Rüchel

Musik Express Page2 Auf der anderen Seite standen die Medien, die in den vergangenen zwei, drei Jahren allem hinterherliefen, was das Etikett NdW trug, und diese Entwicklung haben wir nicht nachvollzogen. Für uns hat nach wie vor Gültigkeit: Eine gute Live-Band ist eine gute Live-Band, egal welchem Stil sie zuzuordnen ist.
Rocknacht-Gäste wie Kid Creole oder Rick James und zuletzt natürlich Kevin Rowland, Joe Jackson und King Sunny machen es möglich, daß sich die entzweiten Fraktionen wieder die Hände reichen, eine Entwicklung. die auch zunehmenden Konsens im Hause Rüchel signalisiert - zwischen Vater (46) und Sohn (18). "Wir haben einen sehr intensiven Austausch, oft natürlich auch absolut unterschiedliche Auffassungen, die sich aber an bestimmten Punkten erstaunlicherweise wieder treffen, Einig sind wir uns bei Joe Jackson, King Sunny, aber auch Leuten wie Michael Jackson: der letzte Rockact, auf den wir uns verständigen konnten, war Little Steven."

Wer vom Rockpalast spricht, denkt an vier Leute: Alan Bangs, Albrecht Metzger, Peter Rüchel und Christian Wagner. Keine andere Musiksendung wird so stark mit den Personen identifiziert, die dahinterstehen, wobei man nicht die gut 200 Mitarbeiter vergessen darf die für das Gelingen einer Rocknacht geradestehen.
Peter Rüchel, früher verantwortlicher ZDF-Redakteur für das Jugendmagazin "Direkt", kam 1974 zum Kölner WDR. Christian Wagner, der eher publicity scheue und schweigsame Regisseur, kam gerade von der Münchener Filmhochschule - Abschlußarbeit über Kraan und Tim Hardin - als sich Rüchels und seine Wege kreuzten.
Der dritte im Bunde war Albrecht Metzger, ehemaliger Redakteur beim SDR und heute neben seiner Rockpalast-Arbeit Mitglied des "Rote Rübe"-Theaterkollektivs in Berlin. An ihm macht sich wie an keinem zweiten die Haßliebe der Rocknacht-Gemeinde fest, von den einen parodiert und verspottet, von den anderen geliebt, gehört sein legendärer Einleitungssatz einfach dazu. "Dschörmen Telewischn prautli prisentz ... " - wichtiger noch als die Eurovisions-Fanfare, die hören wir ja schließlich bei der Eiskunstlauf-WM auch.
Als Letzter dazugestoßen ist Alan Bangs, der erst seit der dritten Rocknacht hinter dem Interview-Mikrofon steht, Wegen der internationalen Zuschauer Beteiligung war eine zweisprachige Moderation dringend erforderlich.
Während Peter Rüchel immer noch das "gleiche Gefühl angenehmster Spannung" vor jedem Festival verspürt, hat sich bei dem 31 jährigen ehemaligen EMI-Electrola-Labelmanager eine gewisse Ernüchterung breitgemacht: "Wenn mir der Rockpalast keinen Spaß machen würde, wäre ich nicht dabei, aber es hat sich einiges verändert. Ich erinnere mich an ein paar Nächte, wo es wirklich ganz toll war, z. B. bei J. Geils als ich mit Jörg Gülden und Teja Schwaner (Die alte Garde vergangener Sounds-Tage) in der Halle Frisbee gespielt habe. Oder nach dem Mitch-Ryder-Konzert als wir durch die Kneipen gezogen sind. Das sind Stimmungen, die gibt es heute kaum noch. Ich habe manchmal den Eindruck, die Bands kommen inzwischen nur noch hierher, um geschaftsmäßig ihre Show abzuziehen, wahrend wir früher die Tage wirklich gemeinsam verbracht haben. Die ganze Crew und alle Bands wohnen ja in der Rocknacht- Woche im selben Hotel in Essen."
Wo Alan Bangs auch auf Joe Jackson traf: "Ich wollte mich mit ihm über das Interview in der Sendung unterhalten, aber er erklärte nur kategorisch: "No interview." Hinterher habe ich mir überlegt, daß ich - verdammt nochmal - viel zu nett zu ihm war Ich hätte ihm statt dessen sagen sollen: "Verpiß dich doch, wenn du so arrogant bist."

"Ich habe manchmal den Eindruck, die Bands kommen nur noch, um geschäftsmäßig ihre Show abzuziehen. Früher haben wir die Tage wirklich gemeinsam verbracht." - Alan Bangs

Die meisten Interviews zwischen den Auftritten leiden ohnehin darunter, daß die meisten Musiker viel zu aufgedreht sind, um mehr als Oberflächlichkeit in ihren Statements zu verbreiten. Viel interessanter wird es für den Zuschauer, wenn die Interviewpartner vorgegebene Pfade verlassen und ihre eigene Show inszenieren, bei Mitch Ryder z. B,. der dem Interview mit Bemerkungen wie "Have you ever seen two dogs fucking in a street?" eine ungewohnte Wendung gab. Selbst für die routinierten Rockpalast-Profis brenzlig wurde es, nachdem Patti Smith und "ihre bedrohlich inkompetente Kapelle" (0-Ton Sounds) das Publikum verunsichert hatte. Alan Bangs: Als sie plötzlich ausklinkte und mit ihrer Klarinette auf die Bühne wollte, bekam ich kein Wort mehr heraus. Sowas ist ganz selten, aber ich wußte überhaupt nicht mehr, was ich machen sollte. Hinterher ist mir klar geworden, daß die Zuschauer in diesen Minuten viel mehr über Patti Smith erfahren haben als in jedem noch so schönen Interview. Für die Bands hat ein Rocknacht-Auftritt den großen Reiz der Europa-Tournee in einer Nacht - jemand hat bei dem Police-Konzert ausgerechnet, daß die Band 200 Jahre auf Tour gehen müßte, um dieselbe Zuschauerzahl zu erreichen."

Für die Zuschauer hat die Rocknacht den Reiz, gleichzeitig Beobachter der fast intimen Ereignisse hinter der Bühne zu sein und gleichzeitig einem echten Live-Konzert beiwohnen zu können. Peter Rüchel: "An diesem Punkt die richtige Balance zu finden, daran haben wir lange gearbeitet. Unser Verständnis geht dahin, daß das Konzert für die 8000 Leute in der Grugahalle gemacht wird - und daß diese Leute keineswegs Statisten für ein Eurovisions-Spektakel sind. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein großes Fernsehereignis, und die TV-Zuschauer erwarten daß sie anständig bedient werden."

Dem persönlichen Kontakt zu den Rockpalast-Zuschauern mißt Peter Rüchel ganz besondere Bedeutung zu: "Wohin soll man sich denn mit Fragen, Anregungen und Kritik wenden als an die, die die Sendung mache." Für Rüchel wie für alle anderen ist es gar nicht entscheidend, wenn sie die Musik oft erst Wochen später via Video-Aufzeichnung bewußt erleben könne. Das ganze Drumherum, das Flair der Nacht macht die Faszination. Selbst Alan Bangs und Albrecht Metzger, die ihren Auftritt ja erst während der Nacht haben, sind von Anfang an bei allen Proben in der Halle, um sich auf die spezielle Rocknacht-Stimmung zu tunen. Und solange das so bleibt, denkt auch keiner ans Aufhören.
Das gängige Argument, eine beliebte TV-Sendung müsse man absetzen, bevor die ersten Verschleißspuren auftauchen, trifft für Peter Rüchel in diesem Fall nicht zu: "Für jemanden, der alle 12 Nächte miterlebt hat, mag die Euphorie der ersten Stunde vergangen sein, aber wir sehen, daß sich das Publikum ständig austauscht, daß jede Rocknacht für viele , das erste Mal ist".
Befragt nach seinen ganz persönlichen Highlights, tut er sich schwer, "Die erste Nacht zählt zweifelsohne dazu, dann sicher auch Van Morrison und im Nachhinein Mitch Ryder, obwohl ich ihn in der Nacht gehaßt habe." Welches die schlechte Erfahrung war, weiß er dagegen auf Anhieb genau: "Das betraf jemanden, der nicht im Rockpalast aufgetreten ist und das ganze Drumherum. Aber den Namen schenke ich mir an dieser Stelle." Nun ja, sich an spannenden Punkten in mystisches Schweigen zu hüllen, das gehört ja bekanntlich auch zum Rockpalast Image.

Andreas Hub

Countdown einer Rocknacht

Mittwoch, 13. April, 17 Uhr

Dienstbeginn des Rockpalast-Teams in der Essener Grugahalle, Eigentlich sollten an dieser Stelle King Sunny and his African Beats erste Proben ihrer JuJu-Musik abliefern, Aber die Bühne bleibt leer, Die Band sitzt immer noch in Nigeria. Warum sie nicht losgeflogen ist, dafür gibt es auch in den nächsten Tagen keine nach westlichen Maßstäben "vernünftige" Erklärung. Das ist eben so. Afrika Das Team hat frei.

Donnerstag, 14. April,17 Uhr

Dem Betrachter bietet sich ein ähnliches Bild wie am Vortag: Die Bühne ist leer. Nur sollten diesmal nicht King Sunny und seine Mannen proben, sondern Joe Jackson. Der ist auch da, aber der Truck mit den Keyboards hängt im Zoll. Peter Rüchel: "Wo ist Hektik? Siehst du hier Hektik? Wenn ich mich aufrege, geht es doch auch nicht schneller." Im selben Moment schellt das Telefon in der Kommandozentrale hinter der Bühne: Die Afrikaner sind auf dem Flughafen angekommen, und vor der Halle hupt der Jackson-LKW. Während Rüchel mir Erklärungen zur Technik gibt telefoniert er mit dem Hotel, erklärt einem englischen Licht-Roadie, bei welchem Fernsehbild er am Samstag das Licht einschalten muß und entscheidet, wie viele Backstage-Pässe HerrnX zustehen. Und ich sehe immer noch keine Hektik. Joe Jackson und Band ziehen ihre Probe routiniert und gutgelaunt durch. Sie spielen ihr Programm einmal in voller Länge, hinterher besieht man sich mit den Lichttechnikern die Videoaufzeichnung, um eventuelle Feinheiten in der Ausleuchtung zu korrigieren. Willy Lang, der Produktionsleiter des WDR, ein seriöser 50er in Anzug und Krawatte, ist sichtlich begeistert und tanzt durch die Halle.

Donnerstag, 23 Uhr

Die Bühne wird immer voller. An die 20 Mann verbreiten mit bunten Kostümen afrikanisches Flair. Die eigentlich für den Vortag angesetzte Probe von King Sunny Ade beginnt. Das Team macht Überstunden. Aber wer hier mitarbeitet, weiß, daß er zumindest für diese Woche jeden Anspruch auf geregelten Schlaf und Freizeit einbüßt.

Freitag, 15. April, 11 Uhr

Die Proben von King Sunny gehen weiter, man hat zwar gestern noch bis 2 Uhr gearbeitet, aber das reichte noch nicht, Also wird der Vormittag zusätzlich eingeschoben.

Freitag, 17.30 Uhr

Kevin Rowland & Dexy's Midnight Runners sind da. Wer hätte das gedacht: Kevin Rowland kann sogar lachen. Beim technischen Personal des WDR hingegen gibt's lange Gesichter. Kevin will zur Sicherheit unbedingt eine Art Laufsteg vor der Bühne haben, weil er beim Konzert oft auf die Monitorboxen springt und auf die drei Kameraleute vor der Bühne fallen könnte.Also heißt es in Windeseile eine stabile Holzkonstruktion zu bauen und zu schwärzen, Ständig läuft jemand mit einer Sprühdose umher, um alles, was in die Kameras blinken könnte, in unauffälliges Schwarz zu hüllen.

Freitag, 19 Uhr

In der Kantine gibt es Essen -beim Eintopf sind alle gleich, Extrawürste gibt es nicht. Die Proben gehen weiter. Als ich gegen 21 Uhr die Halle verlasse, hält mich ein Ordner auf - "Wo ist dein Backstage-Paß?" Den trage ich doch vorschriftsmäßig am Revers....Von wegen. Statt der schwarzweißen Ausweise werden in einer Nacht- und Nebel-Aktion plötzlich bunte Pässe ausgegeben. Dem schwunghaften Handel mit nachgemachten Ausweisen soll das Wasser abgegraben werden.

Samtag, 16. April, 22 Uhr

Die Halle ist nicht ganz voll, 1000 Plätze bleiben unbesetzt; für Peter Rüchel eine klare Folge der letzten Rocknacht, in der Kid Creole manch orthodoxen Rockfan vergrault haben mag, eine Folge auch des ungewöhnlichen Programms an diesem Abend. Trotzdem brodelt die Spannung in der Halle wie immer. Davon abgeschirmt sind die Leute in den Ü-Wagen: Im Fernseh-Ü-Wagen hat Regisseur Christian Wagner das Geschehen über die Monitore der sieben Saal-Kameras im Visier (drei vor der Bühne, zwei Handkameras auf der Bühne, eine Kamera hinter der Bühne, zwei Kameras im Saal für die Totalen und die Bilder aus dem Publikum). Der Hörfunk-Wagen ist mit dem mobilen Dierks-Studio zusammengeschaltet. Toningenieur Gerd Rautenbach mischt in Abstimmung mit Vertretern der Bands den Radiosound ab. Saallicht aus, Bühnenlicht an, die Show beginnt.

Samstag, 24 Uhr

Der brenzligste Punkt des Abends. Als kleine Sensation soll ein Interview zwischen Alan Bangs und Stephen Stills über Satellit die Pause bis Joe Jackson überbrücken, Das Bild ist da, der Ton nicht, alles ist live. Keiner weiß, wie es weitergeht. Alan Bangs plaudert munter weiter. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann ist er in seinem Element. Für die anderen werden die fünf Minuten, bis es doch klappt, zur schweißtreibenden Ewigkeit. Ein kurzes Statement von Peter Rüchel? "Nein, nein." Nur zwei Sätze? "Nein, jetzt wirklich nicht." Aber die Stimmung ist gut, sagt er noch im Vorbeigehen. Im Foyer wogen derweil heiße Diskussionen um das heutige Programm. Das Team einer TV-Kultursendung befragt Zuschauer nach ihren Eindrücken. Bernd Kirchschlager aus Stuttgart ist eigens mit drei Freunden nach Essen gepilgert. Er macht seiner Enttäuschung Luft: "Jch steh' auf Hardrock jetzt habe ich Angst, daß das Programm immer mehr in Richtung Disco abdriftet. Ja, die ZDF-Rock-Pop-Nacht das war schon stark. Hier müßte mal wieder ´ne richtige Zugnummer kommen, so wie Rory Gallagher damals. Ob bei Joe Jackson Jubel autkommt? Kann ich mir kaum vorstellen."
Bernd Kermp aus Bergneustadt ist ganz anderer Meinung: "Ich war schon zwölfmal dabei, und ich finde das Erlebnis jedesmal wieder einmalig. Die Stimmung, die Leute und so viele Gruppen für so wenig Geld, wo gibt's das sonst? Außerdem finde ich, der Rockpalast sollte auf keinen Fall eine kommerzielle Linie einschlagen. So was wie damals mit Patti Smith wäre doch in der Rock-Pop-Nacht nie gelaufen. Da hätten die doch viel zu viel Angst vor."

Sonntag, 0.30 Uhr

Joe Jackson steht hinter dem Bühnenvorhang und nuckelt nervös an einem Dauerlutscher, bis er mit seiner Band auf die Bühne geht. Bernd Kirchschlager hat unrecht. Die Halle tobt vor Begeisterung, anderthalb Stunden lang.

Sonntag, 2.30 Ubr

Der Zeitplan ist längst aus den Fugen geraten. King Sunnys Auftritt verzögert sich durch die euphorische Reaktion auf das Joe-JacksonKonzert. Hinter der Bühne kommt es nochmal zu einer pikanten Situation. Plötzlich tauchen einige folkloristisch gewandete Herrschaften auf .Der nigerianische Botschafter ist da, sichtlich irritiert von dem, was um ihn herum passiert. Einen angemessenen Sitzplatz in der ersten Reihe wünscht der Gute sich. Allgemeine Ratlosigkeit - eine erste Reihe gibt es schließlich nicht, und im Gedränge zu stehen, ist eines Botschafters kaum würdig.

Sonntag, 5.05 Uhr

Nach etlichen Zugaben ist die lange Nacht zu Ende. Scheinbar, denn für die Licht- und PA-Crew heißt es, sofort mit dem Abbau anzufangen. Im Produktionsbüro fällt derweil die Spannung sichtbar ab, die Gesichter verstrahlen übernächtigte Euphorie, die Sektkorken knallen. Ein letztes Statement von Peter Rüchel? "Es war schön! Und ich glaube, es hat neue Perspektiven eröffnet. So was wie King Sunny ist eine Herausforderung Sicher hat er den Leuten anfangs Schwierigkeiten gemacht, aber es war toll zu sehen, wie er sie nach und nach auf seine Seite gebracht hat. Und Joe Jackson war sicher eins der größten Ereignisse, die wir hier jemals gehabt haben. Die Energiekurve sinkt jetzt langsam. Wir werden noch zwei Stunden hier sitzen und reden, dann im Hotel ein schönes Frühstück genießen. Anschließend wird geschlafen, und der Montag ist aus dem Kalender gestrichen."


© Andreas Hub 1983

Fotos: Manfred Becker

Mit freundlicher Genehmigung von Andreas Hub und Ünterstützung der Redaktion Musikexpress/Sounds

Musikexpress/Sounds erscheint monatlich - www.musikexpress.de


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