Rockpalast Archiv

Musik Szene

"Tschörmen  Telewischn.......     naja, man kennt diesen Satz zur Genüge, er gehört zu den Meist zitierten der deutschen Gegenwart. Mehr und mehr wurde er einleitendes Sinnbild für Betrachtungen, die die einstige TV-Novität zur Sammlung für Fallbeispiele moderatorischer Fehlleistungen und schlechten Ge­schrnacks degradierten. Wer als Kolumnist oder Kritiker auf sich hielt, nahm sich am Morgen danach genüß­lich die jeweils letzte Ausgabe der Rockpalast-Nacht zur Brust bzw. Feder, und dann gab's aber 'Langes'.

Natürlich gab und gibt es bei einem solchen TV-Spektakulum Anlaß zur Skepsis und Kritik, doch ganz gleich ' wie man über die einzelnen Sendungen denkt, Rock-live, ungekürzt und authentisch via TV in's heimische Wohn­zimmer, Ist noch immer exklusive Erfindung seiner beiden Macher, Christian Wagner, Re­gisseur und Peter Rüchel, Redakteur.

Gruga Halle - Team

Doch keine Bange, hier soll kein Rehabilitations-Requiem angestimmt werden, es geht nur darum, was einer der beiden, die 1975 die Idee hatten, 6 Stunden Rock non stop zur dominierenden Nachtbeschäftigung Rock-begeisterter Jugendlicher zu machen, nach 10 Jahren Rockpalast über Anerkennung und Kritik an ihrer Arbeit denken. Peter Rüchel:

"Es hagelte, zumindest in der letzten Zeit, zum Teil böse Kritik, das kann man wohl sagen. Wenig davon war aber nur halbwegs sachlich. Vieles davon tendierte in die Richtung, aus der auch die Kritik für erfolgreiche Gruppen kommt: irgendwann warten die Leute darauf, daß eine schwächere Platte oder bei uns, eine schwächere Rocknacht kommt. Um dann so richtig, mit allem drum und dran dreinzuschlagen. Das ist ja die Lust der Kritiker, die wollen wir ihnen aber auch lassen. Okay, wir hatten eine kleine Durststrecke zwischen der Loreley im August und der Oktober- Rock-Nacht letzten Jahres. Der Moderatorenwechsel z.B., doch dann kam Huey Lewis, die beiden Neuen am Mikrophon wurden einhellig akzeptiert, kurzum, die Weit war wieder in Ordnung. "

Wie reagiert Peter Rüchel auf harte Kritik?

"Wir haben es uns zum Prinzip gemacht, und das bisher auch durchgehalten, überhaupt nicht zu reagieren. Ich bzw. wir finden, wenn man sich schon in die Öffentlichkeit wagt, und das tut man ja mit einer so exponierten Sendung, dann muß man so eine Kritik schon eine Weile aushalten können. "

Es war ja oft von Unausgewogenholt des Programms und von Alleinherrschaft deinerseits die Rede...

Al Jarreau "...dieser Vorwurf, Alleinherrschaft und dergleichen, war schon immer absurd. In diesem Vorwurf liegt ein gewaltiges Mißverständnis. Natürlich wird es immer Punkte geben, in denen der Redakteur oder der Producer, das bin ich, eine Entscheidung zu treffen hat. Diskussionen dürfen nicht endlos sein, sondern müssen ja irgendwann auf den sogenannten Punkt kommen, damit man zur Aktion schreiten kann. Und bei einer kontroversen Diskussionslage ist es haft hier, wie überall, die Aufgabe des Redakteurs, zu einem bestimmen Zeitpunkt von der Diskussion zu einer Entscheidung zu kommen. Richtig ist also, daß die letzte Entscheidung von mit getroffen wurde und auch weiterhin wird. Christian und ich schätzen Evelyn (Seibert) und Ken (Janz, das neue Moderatoren-Gespann) genau so wie früher Alan und Albrecht. So sehr, daß uns ihre Meinungen jeden Tag und jede Stunde wichtig ist. Ein Dialog zwischen allen Beteiligten hat immer stattgefunden, er kann nur nicht immer im totalen Konsens beendet werden, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Entschluß da sein muß, denn ich muß mich ja dann an's Telefon setzen und die Sache realisieren. "

Wie war das mit der programmatischen Ausgewogenheit, du kennst ja die Vorwürfe wegen Bruce Rüchel. Die Industrie läßt schon mal Kritik laut worden, Ihr würdet die tatsächlich In den Hitparaden vertretenen Top-Acts zugunsten persönlicher Favoriten Ignorieren?

"Wenn wir dann wirklich mal Springsteen bekommen werden, wird der Jubel groß sein. Diese Spitzen können mich gar nicht treffen... ", Peter strahlt, "die Chancen, Springsteen zu kriegen, stehen immer besser, er macht heute ja immerhin auch schon Videos.

Im Übrigen muß man das doch am Programm messen. Ich müßte ja ein ganz phantastischer Mann sein, bei dem Spektrum, das ich biete. Dieses Spektrum wäre dann ja so breit, daß sich in meinem Alleinherrscher Geschmack so ziemlich alles findet, was in der heutigen Rock-Musik Bedeutung hat. Hitparaden allerdings, äh, sind uns, hmm, im Prinzip egal. Sie sind für uns nicht das entscheidende Kriterium - wir haben nichts gegen Gruppen, die hohe Chart-Notierungen haben, doch das allein gibt nicht den Ausschlag, sie bei und im Programm zu haben. Was soll's, Prince ist derzeit absolut Spitze in den Hitparaden, Huey Lewis war es zu Zeiten der Rock-Nacht noch nicht bei  uns, aber längst in den Staaten. Er wurde kürzlich zur beliebtesten Live-Rock Band der USA gewählt. Wichtigstes Kriterium für uns ist die Live Qualität und eben nicht nur präsent mit einer Hitsingle sein. Es muß schon ein reich entfaltetes Material über mehrere Lp's da sein. Das sollte man mal akzeptieren, zumal man dann erst die Chance hat, auch Gruppen und Künstler zu präsentieren, die anderen Kriterien genügen, als seit gestern modisch aktuell zu sein. "

Läßt sich der Erfolg einer Sendung, wie Ihr sie macht, nicht noch anders als In der Resonanz der Presse messen? Es gibt doch die Prüfung der Einschaltquoten.

"Genau, da war z. B. die Rockpalast- Nacht im Oktober '84 die erfolgreichste, die wir je hatten, da lag die Quote bei 8 %. Das heißt, etwa 150 % derer, die die Sendung angeht. Diese ganzen Geschichten, Rüchel, Rockpalast am Ende usw., werden einfach herbeigeredet, jeder schreibt es aus dem Artikel des anderen ab. Es trifft aber einfach nicht zu, es ist Unfug. Seit Beginn des Rockpalast sind die Einschaltquoten konstant; und das ist doch für einen Zeitraum von 10 Jahren schon was.

Das Programm eurer diesjährigen Frühjahrsrocknacht bekam bereits Im Vorfeld reichlich Anerkennung. Mit Wolf Maahn, als erster deutscher Band, Paul Young, dem britischen Teen-Idol, der Koryphäe für reifere Jahrgänge, Al Jarreau und dem US-Oberabräumer PrInce, Ist der Vorwurf altväterlicher Einseitigkalt, doch als haltlos zurückgewiesen worden. Böse Zungen sprechen von Zugzwang, In dem Ihr euch noch schlapperen Sendungen befunden haben sollt.

"Wir haben uns überhaupt nicht in Zugzwanggesehen. Die Auswahl und Programmarbeit an der aktuellen Rocknacht hat sich in nichts von den Vorbereitungen zu anderen Rock Nächten unterschieden. Es gibt hier nur zwei 'Sensationspunkte', die in der Öffentlichkeit erstaunlich stark wahrgenommen wurden. Eben Wolf Maahn, als erster Deutscher in der Eurovision und die Satellitenübertragung des Prince- Konzerts in Syracuse; zu Beginn und zum Schluß also zwei spektakuläre Geschichten. Davon abgesehen: Es werden immer Leute da sein, die sich mit einem schönen Programm nicht einfach zufrieden geben können. Wir haben sie doch alte bei uns gehabt, Kinks, Police, Who, Van Morrison, sie alle sind bei uns aufgetreten. Insofern kann und möchte ich jedem seine 'Böse Zunge' lassen - Geschenk des Rockpalastes an die deutsche Presse: 'Behaltet ruhig Eure bösen Zungen'. Es ist ja auch ganz anregend. Es gibt bei diesem, offenbar schon vorher als gelungen geltendem Programm keine Änderungen in der Vorbereitung. Jetzt sitzen die Dauer Nörgler natürlich da und suchen krampfhaft ein Haar in der Suppe klar, als Journalist muß man kritisch sein, da kann man doch nicht einfach irgendwas gut finden. "

Also auch nach 10 Jahren keinerlei Verschleißerscheinungen beim Rockpalast?

"Was heißt denn hier Verschleißerscheinungen? Es gibt hier wie immer im Leben Aufs und Abs. Nach einem riesigen Erfolg kommt ein mäßiger Erfolg - es ist unmöglich, ständig auf dem Gipfel zu bleiben, bis zum nächsten Gipfel muß ein Tal durchwandert werden. Das ist völlig normal und kein Verschleiß. "

Wie stehst Du, als Macher einer der größten Live-Rock-Sendungen, zum Boom der Musik-Videos?

"Läßt mich völlig kalt. Ich habe letztens, als ich drüben war, reichlich im Hotel-TV den US-Musikkanal MTV verfolgt und ich muß sagen, ich gebe dem keine große Zukunft. Es ist öde. Ich meine, wenn man's zum ersten Mal sieht, ist es natürlich recht reizvoll. Aber es ist eine Maschine, wenn man morgens um Drei oder nachmittags um Vier immer wieder dasselbe sieht, nach dem Prinzip der Heavy Rotation (schwerpunktmäßiger Sendeeinsatz, gesponsort von der Industrie, d. Verf.), das dem idealen Promotionprinzip folgt. Auch die stilistische Variationsbreite bleibt relativ gering, was vielleicht damit zu tun hat,

daß ein gutes Video sehr viel Geld kostet und daß dieses Geld nicht in jedem Fall da ist Das nämlich wird nur schwerpunktartig bei den Acts lockergemacht, die ohnehin schon gut im Rennen liegen. Das ist was völlig anderes, das in das Feld, was wir beackern, überhaupt nicht eingreift. Wir bedienen das Live-Rock Bedürfnis. "

Wolf Maahn und die Deserteure Und dies droht nicht abzusterben?

"Aber ganz im Gegenteil. Die Begeisterung für die eine oder andere Form der optischen Präsentation von Musik entwickelt sich zyklisch,' man kann da nicht sagen, das und das behält jetzt seinen Stellenwert bis in alle Ewigkeit. Nach dem regelrechten Video-Boom normalisiert sich das schon längst wieder. "

Mal ganz was anderes. Obgleich ja, wie Du sagst, vieles an Negativem über den Rockpalast eher an den Haaren herbei gezogen war, ist es aber doch eine Tatsache, daß In der letzten Zeit Probleme beim Kartenverkauf für die Rock-Nacht-Veranstaltungen in der Gruga-Halle In Essen aufgetreten waren. Warum eigentlich muß es unbedingt Essen bleiben?

"Das ist sicher einen Gedanken wert. Obwohl der Besuch in Essen ja wieder angestiegen ist, aber da gab es ja in der Tat zeitweise einige Probleme. Das hing des öfteren mit der sehr knappen Frist für effektive Werbung zusammen. Wir waren manchmal, wie auch beider jetzigen Rock Nacht, sehr spät mit dem Programm draußen und hatten dann etwas Mühe, die Mitteilung, wer denn nun auftritt, entsprechend an den Mann zu bringen. Der Vorverkauf für die kommenden Rocknacht liegt aber bereits jetzt 1000 Karten über dem der letzten Veranstaltung. "

Ja, kann das kein Zeichen für eine gewisse Rockpalast-Übersättigung In Essen sein?

"Diesen Überlegungen steht entgegen, das Essen der traditionelle Ort, der Tat hätte ich beinahe gesagt, ist. Man wechselt ungern ein Markenzeichen; so unverwechselbar wie das Rockpalast-Logo ist auch der Austragungsort. Auch für die, die von weit her anreisen, und das sind jedesmal ja einige viele, ist die Grugahalle der gewohnte Treffpunkt. Es ist einfach so.' Essen ist die Stadt des Rockpalasts. "

... immer Essen

Ja, und in dieser Stadt ist auch die Rockpalastausgabe vom 30./31. März 85 längst Geschichte geworden. An Anerkennung für das Werk von Peter Rüchel und Christian Wagner hat es auch diesmal nicht gemangelt: Sage und schreibe 16 Länder hatten sich der Übertragung angeschlossen und zwar vom ersten Ton an. Auch die Halle, nach wie vor die Gruga, war nahezu ausverkauft; das normale Programm entpuppte sich tatsächlich als Rockpalast-Nacht der Superlative. Wolf Maahn und die Deserteure brachten sogleich Power pur auf die Palast-Bretter, wenngleich es ihrem Tonmeister während des gesamten Sets nicht gelang, dem Sound das Niveau der folgenden Acts zu verpassen. Überhaupt schade für den Wolf und seine Leute, daß sie sich mit einer ausnahmsweise überaus starken Konkurrenz zu schlagen hatten, es gab schon Rock-Nächte, da wären sie mit Leichtigkeit die Sensation gewesen (Little Steven zum Zweiten. Entschuldige Peter ... ). Paul Young bewies danach, daß das platte Teen Idol-Image, das ihm unverständlicherweise noch anhaftet, längst um etliche Nummern zu klein geworden ist. Mit einer atemberaubenden Genius-Kapelle, vor allem Pino Palladino am Bass und Steve Bolton, Gitarre, zeigte Young, daß er derzeit ein Popsänger ohne Konkurrenz ist. Was heißt Pop?

Paul Young - Evelyn Seibert Da war Soul, Feeling Ausdruck (japps), Power (keuch), einfach alles, was man braucht, um die Zeit, die Menschen um sich herum und das Bier vor der Nase zu vergessen. Danach konnte eigentlich nicht mehr viel kommen. Doch ob Zugzwang oder nicht, Wagner / Rüchel legten mit Al Jarreau / David Sanborn noch mal kräftig nach. Die sprudelnde Show Jarreaus erfuhr noch eine fulminante Bereicherung, als Sanborn zu seinem unnachahmlichen Sax-Sound anhob und eine wohldosierte Dosis Jazz in's Geschehen warf; dann zurück zu Al's immer wieder erstaunlicher Stimmband-Akrobatik, die von einem mehr oder weniger abrupten Schluß "gekrönt" war, trotz gegenteiligen Verlangens von Tausenden in der Halle. Die Satellitenübertragung von Prince aus Syracuse stand an. In der Halle war damit zumindest der Bart ab, man entschloß sich in der überwiegenden Mehrzahl, den Heimweg anzutreten als die Leinwand sich senkte, war die Stimmung in der Halle schlagartig bei Null. Eine Wiederholung einer solchen Sache erscheint da nicht sonderlich wünschenswert, das Hallenpublikum nämlich sah sich doch ein wenig in der Statistenrolle. Prince: Es dominierten dunkle Farben bis Totalfinsternis, und nachdem ich die schmächtige Brust des Jünglings mehrmals bar jeder Konfektion bewundern durfte, beschlichen mich Zweifel, ob der Aufwand denn tatsächlich gelohnt hatte. Die Legenden um diesen Hyper-Mega-Star erfuhren einen recht barschen Sturzflug auf den Boden der Tatsachen. Musikalisch passierte über lange Strecken allenfalls Unerhebliches zu Prince's bemüht-obszönem Bühnengebaren, was aber durch endlose Wiederholung nicht unbedingt interessanter wurde. Man muß schon um die Prüderie und Verklemmtheit des Durchschnitts-Amis wissen, um sich den Erfolg dieses Rüschen-Plüsch-Puff Epigonen erklären zu können; Prince feierte primär mal sich selbst, was wunder, daß die Musik, und wegen der hatte ich mich auf ihn gefreut, zu kurz kam. Mit exakt dieser Show wäre Prince in Europa und insbesondere in Deutschland, mit Sicherheit auf den spitzenverzierten Arsch gefallen. Egal, jetzt wissen wir, was wir live verpasst haben. Fazit: der Rock-Palast wäre nicht der Rock-Palast, wenn nicht doch irgendwo eine schon mitleiderregende Lachnummer auftauchen würde: Star dieses Abends, eindeutig und nur schwer zu übertreffen: Angela Beyer, WDR-Repräsentantin vor Ort in Syracuse. Da war's wieder - "Tschörmen Tellewischn prautli präsääänz... yeahhh (heul, Stimme überschlag)". Ehrlich, man will wirklich nicht gehässig sein, aber es wird einem nicht leicht gemacht. Insgesamt war dies jedoch eine üppige Perle an einer 10 Jahre langen Kette von Rock-Palästen -tatsächlich, von Abnutzungserscheinungen* keine Spur

PS.: Angela will serve for it..


Nobby Scholz

Musik Szene Nr.5 Mai 1985

In memory of Nobby Scholz 2006 R.I.P.


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