Rockalast: Ian Dury - Gate
Ian Dury und Gate - zwei Tage Rockpalast-Action, die es in sich hatten! Im Studio L
des WDR an der Annostraße in Köln war es mal wieder soweit: es wurde aufgezeichnet.
Und an beiden Abenden war, wie der Volksmund so sagt, der Teufel los im Studio. Ian
Dury, dieser kleine Mann mit dem Bewegungshandicap, donnerte los, daß die
ehrwürdigen Feuerwehrmänner der Studiowache die Kiemen nach innen zogen, um ihr
Trommelfell zu schützen. Es war laut, aber es war gut laut, es mußte einfach laut
sein. Aussagen wie Sex and Drugs and Rock 'n' Roll oder wie Fucking Cunts and Pricks
können ebensowenig im Flüsterton vorgetragen werden wie in auch nur abgedämpfter
Soundgewalt. Und schon nach wenigen Minuten dachte wohl niemand mehr darüber nach,
wie der kleine Mann mit der Melone, mit der rauh zusammengewürfelten Kleidung, es
wohl auf der Bühne machen würde, mit seiner Gehbehinderung. Sie zählte einfach nicht
mehr, war nicht mehr sichtbar, nicht mehr erkennbar. Die Gestalt, die nicht nur
durch ihr äußerliches Erscheinen Assoziationen zu Henry Toulouse - Lautrec und Mr.
Hyde schafft, die ihn mit Guinness Extra Sout und Londoner Cockney Pubs in
Verbindung setzen. Der kleine Mann wächst über sich hinaus, wird zur Größe, die
alles bestimmt, und selbst die fetzenden und chaotischen Endpassagen mancher Stücke,
in denen Saxophon und Gitarre in scheinbar widersprüchlicher Aussage gegeneinander
kämpfen, um dann doch zusammen zu kommen, können Ihn nicht zur Randfigur werden
lassen. So sehr die anderen Musiker, seine Band, die Blockheads (Cockney für Hohkopf
oder Dummkopf, und das nicht im zärtlichen Sinne), besteht aus Saxophon, Keyboards,
Schlagzeug, Bass und Leadgitarre, auch abmühen mögen, Solopassagen mit einbrennender
Schärfe zu spielen, nur schwer trennt sich das Auge des Zuschauenden, Zuhörenden von
lan Dury. Und die Rockpalast Aufzeichnung wird zu einer Superstunde und es wird
offensichtlich, es ist mehr noch eine Superstunde für Ian und seine Band. Sie sind
deutlich spürbar im Off, weggetrieben von der eigenen Musik, spielen voll aus sich
heraus für ein Publikum, welches wie elektrisiert scheint, und doch dabei nur ahnt,
worüber der große kleine Mann dort singt. Die Botschaft kommt auch ohne Kenntnis der
Texte rüber. Rhythmus, Musik und Gesang sind so direkt, so kompromißlos ehrlich, daß
es keiner besonderen Antenne bedarf, um mit ihm klarzukommen. Rough and ready, man
kann ihn nur lieben oder ablehnen, Entscheidungen dazwischen sind nicht möglich.
Irgendwie erinnert er an das Erwachen des R & B, die Stones mögen die gleichen
Assoziationen geweckt haben, die gleichen Neigungen oder Haßgefühle ausgelöst haben,
die Ian Dury auslöst, noch auslösen wird.
Tags darauf ist es ähnlich, zwar ist die Musik anders, nicht von so ungestümer
Gewalt und proletarischer Heftigkeit, aber nicht weniger wirksam. Musik sollte man
nicht miteinander vergleichen, und es ist einfach lächerlich, zu sagen, die spielten
so wie die, ähnlich wie der oder so. Stimmungslagen der Betrachter werden dabei
allzuleicht zum Vorurteil. Man stelle sich nur einmal vor, jemand, der persönlich
traurig gestimmt ist, soll in einer solchen Situation die Beach Boys beurteilen. So
ist Musik einfach anders, nicht miteinander zu vergleichen, solange sie ehrlich und
aus Gefühlen heraus gespielt wird. Und ehrlich ist die Musik von Gate, und schon
erstaunlich professionell für eine Band, die noch vor einem Jahr erst als
Überaschungs Newcomer in die deutsche Szene einbrach. Auf dem Brain Festival der
Metronome in Essen spielte sie profilierte Bands glatt an die Wand, und mit ihrem
ersten Album als Newcomer machten sie knackfrech ein Livealbum - konnten sie sogar
überzeugen. Von da an ging es bergauf mit Gate. Die Konzerte wurden häufiger, die
Gagen etwas besser, und vor wenigen Wochen legte die Band ihr erstes Studioalbum
vor. "Red Light Sister" ist der Titel dieser Langrille, und mit dem Titelsong begann
auch der Fernsehgig in der Annostraße. Und noch bevor die ersten Töne sich richtig
in die Gehirnwindungen des Publikums eingraben konnten, brandete schon erster
Applaus auf. Aber es sollte noch viel besser werden. Die einfachen Melodien, die
Klangbilder der Gate-Musik, die nur allzuleicht auch dem unbedarften verständlich
machen, worum es in den Stücken geht, fordern einfach Akzeptanz und Mitgehen. Und
sowenig es dem Publikum ausmacht, einem englischen oder amerikanischen Text
zuzuhören, sowenig störte - kann es das überhaupt? - daß Horst Kamp seine Lieder in
englisch singt. Sie werden verstanden durch die Aussagekraft, mit der sie
vorgetragen werden, wie auch durch die Musik, die sie begleitet, wie einen Mantel
umhüllt. Trotz oder gerade wegen der oft unterschiedlichen Passagen, aus den die
Gate-Songs bestehen, die sich harmonisch ergänzen und logisch aneinanderfügen,
wirken die Songs als kompakte Einheit voll subtiler Aussage. Und die Leute merken
es, und selten hat es eine solche Atmosphäre in den 'geheiligten' Hallen des Studios
gegeben, die doch trotz aller Rockpalast-Stimmung Fernsehstudios bleiben. Besonders
gut an diesem Abend die Anmachesituation zwischen Martin Schröper mit der
durchsichtigen Dan Armstrong - Klampfe und dem Sänger Horst Kamp oder dem Bassisten
Angelos Tsangaris. Oberhaupt lebt die Gate-Musik von den wechselnden Bildern der
musikalischen Aussagen. Einmal ist Horst Kamp die dominierende Figur, dann Martin
Schröpfer, dann Manos Tsangaris, dann wieder sind es Zweierpaarungen, Marfred
Köhmstedt mit Martin.Schröper, die rote Strat und die durchsichtige Dan Armstrong,
dann die Rhythmuseinheit der Tsangaris Brüder oder auch Horst Kamp am Mellotron. Die
Musik, die Sekunden vorher noch sanft, fast zärtlich zu nennen ist, wird so
plötzlich durch beiden Gitarren, die wüst vorwärtsdrängen hart und rauh. Dabei ist
besonders interessant zu beobachten wie nahezu in sich versunken Köhmstedt seine
Passagen spielt, während Martin Schröpfer im Kontrast dazu die Gitarre vor sich her
stößt, sich von ihr vorwärtsziehen läßt fleischgewordener Rock 'n' Roll wird.
Besonders deutlich wird die gitarrende Gewalt beim Blues, den die Band spielt, als
einzige Ausnahme zum sonst völlig eigenständigen Material.
Zwei Nächte die es in sich hatten, aber auch in anderer Weise. Und dies ist eine
Geschichte die zum Nachdenken stimmt wenn man nicht darüber weinen sollte. Als lan
Dury sein Konzert gegeben hatte, als sich die Band wieder erholt hatte, ging der
Zauber erst los, der für eine Band jeglicher Coleur wichtig ist, der die Kohle
sichern soll. Der Rummel der Pressearbeit, der Kontaktpflege. Und nicht nur das,
auch das "take care of the artist" von Manager und Plattenleuten gehört dazu.
Manfred Schmidt, seines Zeichens Gastgeber vieler Feste und Gast auf vielen Festen
hatte zur "after concert fete" ins Roxy geladen. Und viele kamen. Bei Eßbarem und
Trinkbarem saßen viele der Leute herum, die für de Nachhall eines Konzertes, eines
musikalischen Ereignisses sorgen. Peter Jenner, der Manager von Ian Dury, der
Teldec-Mann, Manfred Schmidt, sie alle bemühten sich um die Gäste der Medien und
sorgten dafür, daß man auch mit Ian Dury sprechen konnte. Für ein Interview war es
allerdings zu laut und zu hektisch, aber dennoch konnte man einen näheren Blick und
Einblick auf Ian Dury nehmen. Wie wichtig ein solches Happening auch von Peter
Jenner genommen wird, und auch in noch anderer Absicht, als nur Presseleute
anzumachen, sagt er selbst so: "Weißt du, wenn du einen Künstler unter Vertrag hast,
dann gehört es dazu, daß du dich um ihn kümmerst, dann mußt du soetwas wie eine
Mutter sein. Du mußt aufpassen, daß er sich wohl fühlt, denn nur dann kann. er gut
sein, und du mußt ihm die kleinen Hindernisse aus dem Weg räumen. Stell dir vor, lan
wäre hier so ganz alleine, ohne Kenntnis der Situation und Leute, die Chance, daß er
richtig frustriert wird und dadurch in seiner künstlerischen Sensibilität gestört
wird, ist hier doch sehr groß. Deshalb gehört es doch einfach dazu, daß man Künstler
auch über den Rahmen der Vertragsverhandlungen hinaus in den privaten Bereich hinein
betreut." Gute Worte von jemandem, der sein Geschäft versteht, nicht umsonst, hat er
jahrelang Pink Floyd betreut und ist noch heute ihr Freund, und nicht umsonst zählt
sein Name zu den 'guten' Namen in der anglikanischen Managerlandschaft.
Der after concert - Abend der Gate sah dagegen sehr viel anders aus. Ohne Hektik,
ohne Trubel, aber sehr gemütlich. Nur die Umstände, aus denen dann letztlich doch
ein feiner Abend wurde, der bis 4 Uhr morgens dauern sollte, waren mehr als traurig.
Mittags, als die Band noch aufbaute, noch bevor ein erster Soundcheck gemacht werden
konnte, ließ sich Manfred Wodara, seines Zeichens Chef der Promotionabteilung West
der Metronome, in den Studiohallen sehen, und sich selbst auf die Schulter klopfend
meinte, es habe ja doch - die Metronome - ein schönes Stück Arbeit gekostet, die
Gruppe in den Rockpalast zu bringen. Die Anwesenden sahen sich nur erstaunt an, denn
jeder in der Gruppe, die Soundmitglieder wie auch die Rockpalastler wußten von
keinerlei Zusammenarbeit mit der Metronome - im Gegenteil, Christian Wagner meinte
noch dazu, die Zusammenarbeit, die der Rockpalast mit der Gruppe Gate eingeleitet
habe, sei ganz ohne zutun Dritter, allein auf Initiative Peter Rüchels und seiner
eigenen zustande gekommen. Später am Abend, als der Fauxpas noch einmal auf den
Tisch kam, meinte Peter Rüchel noch deutlicher dazu: "Es gibt keine Plattenfirma,
die uns dazu bringen könnte, eine Gruppe zu nehmen, von der wir nicht überzeugt
sind, die wir nicht haben wollen. Im Gegenteil, es ist sogar so, daß von allen
möglichen Seiten direkt und indirekt immer wieder Angebote kommen, doch diese oder
jene Gruppe zu nehmen, die wir dankend ablehnen müssen weil sie nicht ins Konzept
des, Rocklasts passen. Das soll zwar nicht heißen daß wir nicht mit den Platten oder
Agenturen zusammenarbeiten, denn oft sind nur sie es, die uns die gewünschten
Adressen und Kontaktpersonen benennen können, aber Richtung und Wunsch wird nur und
ausschließlich von uns bestimmt!'
Doch das war später am Abend. Bis dahin war noch ein langer Weg, ein Weg, der
deutlich gemacht hat, wieviele Faktoren schuld sind an der deutschen Rockmisere.
Schon als der Soundcheck begann, war der Herr Metronome nicht mehr anwesend und er
sollte auch später nicht mehr auftauchen. - Wie eigentlich keiner der Leute
auftauchte, die sonst in die Rockpalast Atmosphäre drängen. Sie fehlten alle, oder
nahezu alle. Ulli Wiehagen gehört zu den ehrenvollen Ausnahmen (Chefredakteur vom
'Musiker'). Nun denn, dem Konzert, wie vor beschrieben, tat es keinen Abbruch.
Traurig wurde es erst danach, nach Interview und Show. Als die Musiker umgezogen,
der durchgeschwitzten Kleider ledig, zurück in den Studioraum kamen, waren nur noch
die Rockpalastler und die Roadies, die noch abbauten, zugegen, und natürlich noch
Peter Hennes, der Manager der Band. Und dieser Trupp der "sieben Aufrechten" dachte
nun daran, noch etwas zu unternehmen, den Abend nicht so trist enden zu lassen. Also
auf nach Manolito, ein-zwei Ecken vom Studio entfernt, und dort wurde es dann ganz
gemütlich. Zwar war niemand von Presse und Radio dabei, keiner von der Plattenfirma,
und kein Alfred Biolek wie am Abend zuvor, als er neben Ian Dury sitzend seine
Talkshow mit Musik und guter Laune versprühte, kam, um die Hände der Künstler zu
schütteln. Ein Abend in privater Wärme, menschlicher zwar als die Turbulenz im Roxy,
aber ebenso sicher weniger effektiv, kommerziell gesehen. Und ob man es bedauert,
verneint, oder einfach nicht sehen will, der kommerzielle Aspekt gehört zum Rock
ebenso wie zum Fußball oder jeden anderen Art der Selbstdarstellung in Kunst und
Literatur. Und wenn Horst Kamp auch sagt, und sicher meint er es ehrlich, der
Applaus ist das Brot des Künstlers, so ist doch ebenso klar, daß man mit Applaus
alleine keine Rechnungen oder Miete bezahlen kann, kein Brot kaufen, geschweige denn
Butter und Aufstrich. Also, wo bleiben die Anstrengungen der Verantwortlichen, die
den Vertrag besitzen und für den Erfolg mitsorgen müssen. Abzuwarten, bis eine
Gruppe aus eigener Kraft groß geworden ist, und sich dann auf die Schulter klopfen
und sagen 'Unser Werk', ist beschämend für die ganze Branche! Und dem freundlichen
Herrn vom Musikverlag 'Melodie der Welt', der leider nicht dabei sein konnte nach
dem Konzert, weil er ein Hotel gebucht hatte, in dem man nach Mitternacht nicht mehr
hinein kommt, kann man nur raten, demnächst besser zu buchen.
Spotlight - auf Sound & Musik Nr.5 März 1978
Redaktion: Merlin W. Frank (verantwortlich)
Mitarbeiter an dieser Ausgabe:
Alan Bangs, Wolfgang Bongertz, Jarvis Cave, H.Christian, Gary Cooper, Werner
Gottfried, Bernd Groll, Udo Hanten, Peter Hoffmann, Bruno Kaßel, Walter Lindenberg,
Horst Pawlik, Nick Vincentz, Eckhard Ziedrich
Fotos: www.BrunoKassel.de
Anmerkung: bei der deutschen Band GATE spielte
Martin Köhmstedt die Armstrong Plexiglas Gitarre und
Manfred Schröpfer die rote Stratocaster.
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